„Wer gehört zu uns?“ – Predigt am 26. September 2021

Liebe Buben und Mädchen, meine liebe Schwestern und Brüder!

Wer gehört zu uns? Diese Frage ist so alt wie die Menschheit. Seit Menschen in Gemeinschaften und Gruppen, in Stämmen und Völkern zusammenleben, haben sie sich diese Frage gestellt: Wer gehört zu uns? Und wer gehört nicht oder noch nicht oder nicht mehr zu uns?

Auch in den biblischen Texten des heutigen Sonntags spüren wir diese Frage: Wer gehört eigentlich zu uns? Hinter dieser Frage steckt die Sorge, wir würden die Identität unserer Gemeinschaft verlieren, wenn auch „die anderen“ dazu gehörten: also jene, die anders aussehen, anders reden, eine andere Sprache sprechen, woanders herkommen, anders denken und fühlen, einer anderen Konfession oder gar anderen Religion angehören, die vielleicht andere Vorstellungen vom Leben oder Zusammenleben haben, einfach all jene, die „anders“ sind als „wir“.

Wer gehört zu uns? Wer soll und wer darf dazugehören? Immer wird diese Frage unterschiedlich beantwortet – auch in unserer Kirche. Wer gehört dazu? Gehören nur die zu uns, die regelmäßig in den Gottesdienst gehen, oder auch jene, die nur ab und zu kommen? Gehören nur die zu uns, die sich irgendwie bei uns in der Pfarrgemeinde oder Kirche engagieren (und dafür sind wir sehr dankbar!) oder auch jene, die sich damit eher zurückhalten? Gehören nur die zu uns, die Kirchensteuer zahlen, oder auch jene, die aus der Kirche ausgetreten sind?

Natürlich nicht alle, aber eben doch viele, die aus steuerlichen Gründen aus der Kirche austreten, fühlen sich dennoch weiterhin Gott und dem Glauben an ihn verbunden, sie versuchen, ihren Glauben im Alltag zu leben, sie engagieren sich für andere, sie tun ebenfalls oft Gutes und kommen dann und wann auch wieder zurück. Sollen wir ihnen am Ende ihres Lebens etwa wirklich ein christliches Begräbnis verweigern, nur weil sie ihre Kirchensteuer nicht mehr zahlen? Ich jedenfalls kann das nicht!
Und sollen wir sie wirklich einfach vom Empfang der Sakramente ausschließen? Noch immer muss ich bei einer Wiederaufnahme ein bischöfliches Dekret verlesen, dass nun die Exkommunikation zurückgenommen wird, eine Handlung, die mich jedes Mal mit Unbehagen erfüllt.

Den Kirchenaustritt festzumachen am Geld – ist es wirklich das, was Jesus uns raten würde? Zu den Aposteln sagt er jedenfalls: „Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns!“ Dies führt wohl in eine andere Richtung. Damit wir uns nicht falsch verstehen, meine lieben Schwestern und Brüder: jeder Austritt aus unserer Kirche schmerzt mich und macht mich traurig, denn eben nur mit der finanziellen Unterstützung vieler Mitglieder kann unsere Kirche, kann auch unsere Pfarrgemeinde ihre vielen und auch vielfältigen Aufgaben in Gesellschaft und Welt erfüllen, gerade im sozialen Bereich, was doch wieder letztlich allen Menschen zugute kommt und zwar ganz unabhängig von ihrer Kirchenzugehörigkeit.

Das ist und war schon immer das Prinzip der Caritas, auch in der Caritas vor Ort, in Mainaschaff in unsrer Johannes-Gemeinschaft. Darum sind wir heute in der Kollekte eingeladen, für die Arbeit der Caritas das zu geben, was uns möglich ist. Und ich sage jetzt schon für Ihre Gabe ein ganz herzliches Vergelt’s Gott – wie auch allen die Kirchensteuer und Kirchgeld bezahlen. Wir sind genauso darauf angewiesen wie die Menschen, die uns anvertraut sind.

Unsere Kirche muss jedoch bescheiden und demütig werden und dabei von jeder Art von Selbstherrlichkeit und übergroßem Stolz Abschied nehmen, damit nicht noch mehr Menschen der Kirche den Rücken kehren, weil sie nicht mehr glauben können, dass sich unsere Kirche erneuern kann und wirklich will. Wohin die Reise geht in unserer deutschen Kirche, das vermögen wir wohl noch gar nicht zu sagen. Das, was die Bischöfe uns Seelsorgern nahe legen, nämlich in Kontakt zu bleiben mit all jenen, die ihren Austritt erklären, das tun wir in unserer Pfarrgemeinde schon seit langem. Jedem einzelnen schreiben wir einen Brief und bieten das offene Gespräch über die Beweggründe an.
Eher seltener, aber eben doch zuweilen gibt es eine Antwort, per Email, per Brief oder auch im persönlichen Gespräch. Manchmal gibt es sogar ein Umdenken, stets aber wohl das Gefühl, nicht abgeschrieben zu sein, weil die Tür doch offen bleibt. Und dann und wann kommen Menschen zurück, weil sich ihre finanzielle Situation entspannt hat oder weil sie über einen Ärger oder eine Verletzung durch Mitglieder unserer Kirche hinweg gekommen sind. Und dann feiern wir in unserer Kirche jedes Mal ein kleines Fest.

Wer gehört zu uns? In den Augen Jesu wohl etliche mehr als wir glauben. Denn es kommt ja wohl vor allem darauf an, wie wir als Christen unser Christsein und wie die Menschen ihr Menschsein leben. An unserer Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit werden wir gemessen in dieser Gesellschaft. Darum gehören auch alle zu uns, die menschlich zu leben versuchen. Und auch jene, die die Kirche verlassen, aus welchen Gründen auch immer, für eine gewisse Zeit oder auch bis ans Ende ihres Lebens, sie bleiben Gottes Kinder. Und für uns bleiben sie darum unsere Schwestern und Brüder. Lasst uns das bitte niemals vergessen! Amen.

Pfarrer Georg Klar