Liebe Buben und Mädchen, liebe Schwestern und Brüder! Das Pfarreifest liegt hinter uns, aber noch erinnern uns die liebevoll gestalteten Nischen hier in der Kirche an das Thema des Festes: „Füreinander – Hand in Hand“. Wir erinnern uns, dass wir trotz des Regens ein wirklich schönes und ein lebendiges Fest feiern konnten, bei dem wir sogar noch über den einen oder anderen Schauer lächeln könnten, weil wir aus der Not eine Tugend gemacht haben und einfach etwas näher zusammengerückt sind.
Aber wie sieht es jetzt, mitten im Alltag, aus mit der Lebendigkeit unseres Glaubens? Ist für uns das Christsein wirklich noch ein atemberaubendes Abenteuer? Ist für uns der Glaube wirklich noch eine Entdeckungsreise, für die wir bereit sind, alles auf eine Karte zu setzen – so wie der Kaufmann im Evangelium? Ein Schatz, für den wir uns unsere Hände schmutzig machen – so wie jener Mann im Evangelium? Oder ist der Glanz des Schatzes und der Perle inzwischen längst verblasst? Ist dieses Evangelium vom Reich Gottes für uns inzwischen einfach zu einer frommen Selbstverständlichkeit geworden?
Vielleicht hatte es ja tatsächlich einmal aufregend angefangen mit der Entdeckungsreise des Glaubens, mit dem Abenteuer eines Weges, mit der Schatzsuche der Liebe Gottes – in unserer Kindheit, bei unserer Erstkommunion, zu Lebzeiten Jesu, in den ersten Tagen der jungen Kirche, in der Aufbruchstimmung des Zweiten Vatikanischen Konzils?
Aber jetzt? Aber heute? Ist die Zeit der Entdeckungen etwa vorbei? Ist unsere Lust an Gott und am Menschen abgekühlt? Ist der Glanz der ersten Liebe verblasst? Fast scheint es so, wenn wir die vielen stillen und lautlosen Kirchenaustritte sehen, die uns schmerzen, aber auch, wenn wir manch neuen Rigorismus und manch neue Engstirnigkeit – und das gerade oft bei den jungen Seelsorgern in unserer Kirche – wahrnehmen. Wo ist der frische Wind geblieben, der am Pfingstfest zu wehen begonnen hat?
Wo ist die Begeisterung hingekommen, mit der wir einmal begonnen haben? Fast scheint es so, als ob wir gar nicht mehr damit rechnen, als ob wir gar nicht mehr richtig darauf hoffen, jemals noch einen Schatz, jemals noch eine kostbare Perle zu finden. Vielleicht sind wir wirklich, wie das der Begründer der „politischen Theologie“, der große Theologe Johann Baptist Metz, den ich noch immer sehr bewundere, einmal ausgedrückt hat – vielleicht sind wir wirklich „überraschungsresistent“ geworden.
Wir glauben, in unserer Kirche längst alle Schätze und alle Perlen zu besitzen, anstatt die „Zeichen der Zeit“ zu deuten und uns mit den Menschen unserer Tage ganz neu und immer wieder auf den Weg zu machen – offen und neugierig; bereit hinzuhören und bereit zu lernen; bescheiden, aber eindeutig an Jesus orientiert; nicht im Besitz der Wahrheit, sondern auf der Suche nach der Wahrheit; den einzelnen Menschen nicht verurteilend, sondern ihm nachgehend; frei im Herzen, aber gebunden an Gottes Wort; entschieden und eindeutig in der Hoffnung und vor allem freundlich und treu in der Liebe zu jedem Menschen. Wenn wir so auf der Suche bleiben nach dem Schatz des Reiches Gottes, dann werden wir sicher auch die kostbaren Perlen in jedem Menschenherzen entdecken, die Gott selbst darin versteckt hat.
Die Perle des Glaubens etwa, eines Glaubens, der vielleicht nicht unbedingt den ganzen Katechismus auswendig kennt, aber der tastend und suchend den eigenen Weg wagt und der Kraft und Orientierung und Unterstützung erhofft von uns als Kirche, von uns als Gemeinde, von uns als Christen auf dem Weg.
Oder die Perle der Hoffnung, einer Hoffnung, die nicht nur das Jenseits, den Himmel, im Blick hat, sondern die den Blick richtet auf das Heute, auf den Menschen, der jetzt mit uns lebt, nicht wie wir ihn gerne hätten, sondern wie er ist; einer Hoffnung, die unsere Welt nicht aufgibt und die keinen Menschen aufgibt, nicht unsere Kinder und nicht unsere Altgewordenen, nicht unsere Kranken und nicht unsere Sterbenden, nicht einmal die, die Schuld auf sich laden und nicht einmal den Attentäter von Oslo; einer Hoffnung, die um jeden Menschen kämpft und die noch im schlimmsten Übeltäter die Sehnsucht nach Liebe zu entdecken vermag.
Und schließlich die Perle der Liebe, einer Liebe, die nicht nur von Liebe redet, sondern die sich erspüren lässt, die Hand anlegt an diese Welt und in dieser Welt, die bereit ist zu leiden und Opfer zu bringen um des Menschen willen; einer Liebe, die glaubt und hofft und die kämpft um den Menschen und die Menschlichkeit; einer Liebe, die Maß nimmt an der Liebe ihres Herrn und die Gottes Liebe sichtbar und erlebbar werden lässt. Ach, könnten wir nur in unserer Kirche so lieben! Viele Menschen würden dann wohl bleiben…! Doch gibt es keinen Grund für Resignation. Es lohnt sich, sagt das Evangelium, weiter zu suchen und Großes zu erwarten. Denn dann und nur dann können wir finden.
Aber manchmal ist es auch umgekehrt: da werden wir selbst, da werden wir Menschen gefunden von Gott. In meinem Dienst als Soldatenseelsorger in Berlin und in den neuen Bundesländern habe ich das mehr als einmal erfahren: Manche, die – zumindest scheinbar! – nie nach Gott gefragt haben, stolpern eine Tages über ihn – wie der Mann im Evangelium der – zufällig!? – den Schatz findet. Und sie erfahren: Das Himmelreich sucht nach mir, Gott sucht nach mir, sucht den Finder, ist zum Greifen nah. Ich bin für ihn ein wertvoller Schatz, eine kostbare Perle.
Und Gott lebt uns dann etwas ganz Entscheidendes vor: Um den Schatz in uns zu bergen, muss Gott den ganzen Acker mit den wertlosen und oft störenden Steinen dazukaufen; den Acker mit unserer Engstirnigkeit und unserer Überheblichkeit, mit unserem Ärger und unserer Unzufriedenheit, mit unserer Bequemlichkeit und unserem ständigen Versagen. Ja, Gott hat unseren Acker bereits gekauft mit dem Blut, das sein Sohn aus Liebe zu uns vergossen hat. Und um die Perle in uns zu entdecken, muss Gott lange warten, bis diese Perle der Liebe in uns gewachsen und gereift ist. Gottes Geduld mit uns Menschen scheint grenzenlos. Und – sie ist eine Gabe und eine Aufgabe für uns als Kirche.
Davon erzählt eine Geschichte, die ich zum Schluss mit Ihnen und euch teilen will:
Ein Perlenhändler kam eines Tages in ein Kloster, weil er gehört hatte, ein alter Mönch hätte eine kostbare Sammlung wertvoller Perlen. Tatsächlich zeigte der Mönch dem Händler ein gutes Dutzend wunderschöner Perlen, die er in einer einfachen Pappschachtel aufbewahrte. Als er den begehrlichen Blick des Mannes sah, schüttete der Mönch ihm die Perlen in die Hände und sagte: „Nimm! Nimm sie alle! Doch besser wäre es, du würdest nach der Perle suchen, die in dir selbst verborgen ist.“
Ein Augenblick der Stille, liebe Geschwister, um die Perle der Liebe Gottes in uns wahrzunehmen. – Amen.
Georg Klar
Pfarrer St. Margaretha
Mainaschaff