Predigt am 09.09.2012

Predigtgedanken

Liebe Buben und Mädchen, liebe Schwestern und Brüder! Wir mussten bei unserem Besuch in Kolumbien unsere Augen und Ohren nicht extra öffnen. Sie waren für Schwester Cornelia und mich nicht zu übersehen – die Armen! Gerade bei unseren behinderten Jugendlichen, die teilweise taub und stumm sind, haben wir es gespürt. Es gab und es gibt sie überall. Und es wäre unmenschlich, die Augen und die Ohren vor ihnen zu verschließen und nur die unbeschreibliche Schönheit dieses Landes wahrzunehmen oder nur dem Gesang der Vögel zu lauschen. Ja, wir beide durften und wir alle dürfen uns dieses Wort Jesu im Evangelium gefallen lassen: „Effata – Öffne dich!“

Wir kennen dieses Wort aus der Taufliturgie, wenn zu jedem Täufling gesagt wird: „Effata! Öffne dich!“ Und doch ist es weit mehr als ein Ritus, mehr als eine liturgische Handlung, es ist ein langer, ein lebenslanger Prozess. Denn wir stehen immer wieder in der Gefahr, uns und unsere Sinne zu verschließen. „Effata“ – das ist die Bitte an Gott, dass er uns hilft, uns aufzutun: für ihn und für die Menschen.

Unsere Ohren dürfen wir öffnen – wie Altbischof Gregorio noch heute, damit wir nicht nur irgendwie hören, sondern damit wir wirklich hören und zuhören, damit wir hinhören auf die leise Stimme Gottes in unserem Leben, auf die Stimme der Menschen, die uns brauchen, auf den Ruf der Armen nach Gerechtigkeit.

Unsere Augen dürfen wir öffnen – wie einst Pfarrer Josef Otter, Padre José, damit wir nicht nur irgendwie schauen und damit wir vor allem nicht nur fromm dreinschauen, sondern damit wir wirklich sehen, hinsehen auf diese Welt mit ihren Fragen, damit wir den Menschen anschauen und seine Sehnsucht und seine Not wahrnehmen.

Unseren Mund dürfen wir öffnen – wie heute noch Padre Omar in Kolumbien, damit wir nicht nur plappern, sondern damit wir wirklich sprechen, damit wir die Wahrheit und damit wir Worte der Liebe sagen, damit wir den Mund auftun dort, wo Unrecht geschieht.

Unsere Hände dürfen wir öffnen – wie so viele Wohltäter unserer Stiftung Weg der Hoffnung, damit sie sich nicht zur Faust ballen, sondern lernen zu teilen, zu heilen, zu berühren, damit sie die Not anpacken und tatkräftig helfen.

Unsere Füße dürfen wir berühren lassen von Gottes Liebe, damit sie nicht nur laufen, sondern wirklich gehen, Schritt für Schritt den Weg der Gerechtigkeit und des Friedens, damit wir unsere Schritte lenken zu den Menschen, die auf uns warten, damit wir hingehen zu den Schwestern und Brüdern, die in Not sind – in Kolumbien und hier bei uns.

Alle unsere Sinne dürfen wir öffnen und von Gott öffnen lassen, damit wir sinnvoll leben. Was uns damals in der Taufe gesagt wurde – „Effata, öffne dich!“ – das dürfen und sollen wir tun, unser ganzes Leben lang. Die Betreuerinnen und Betreuer in unserer Behindertenwerkstatt in Kolumbien, die für unsere Jugendlichen die Gehörlosensprache gelernt haben, um sie aus der Einsamkeit in die Gemeinschaft zu führen, sie sind Schwester Cornelia und mir ein Vorbild geworden. Denn sie zeigen, dass das „Effata“, das „Öffne dich“ nicht nur unsere Ohren und unseren Mund meint, sondern vor allem unser Herz. Amen.

Pfarrer Georg Klar