Liebe Schwestern und Brüder! Wir könnten es selbst erfahrenen Fischern zugestehen, dass sie sich nach einem solchen Sturm wie dem im Evangelium sagen: „Nie wieder hinaus auf den See!“ Ähnlich geht es wohl heutzutage vielen Christen, die nach vielen Frustrationen die Kirche enttäuscht verlassen haben oder noch verlassen möchten, die zumindest ihre Fahrt auf das Meer des Lebens nicht mehr mit dem Boot der Kirche machen wollen, und anscheinend auch nicht mehr mit dem Schiff, das sich Gemeinde nennt, „Gemeinde St. Margaretha“…!
Früher hieß es einmal: „Extra ecclesiam nulla salus!“, „Außerhalb der Kirche kein Heil!“ Heute suchen viele Menschen ihr Heil ganz bewusst außerhalb der Kirche. Fast scheint es so, als ob das Bild, das wir kennen, das Bild vom schlafenden und doch treuen Jesus im Boot der Jünger, dass dieses Bild abgelöst würde durch ein anderes Bild im heutigen Evangelium, nämlich durch das Bild der verlassenen Jüngerschaft im Boot und von dem Jesus, der sich außerhalb des Bootes finden lässt von dem, der es wagt, das Boot zu verlassen. Kann das denn ein Bild von Kirche sein? Lässt sich Christus und sein Reich der Liebe etwa außerhalb der Kirche besser finden? Das wäre für mich ein sehr trauriger Gedanke. Aber dass solche Fragen mich und unsere Kirche umtreiben wie ein Sturm auf offener See, das ist nur zu verständlich.
Nehmen wir einmal das zentrale Wort des heutigen Evangeliums in den Blick: „Habt Vertrauen!“ Das ist kein billiger Satz im Sinn von: „Macht nur weiter so! Ihr braucht nichts zu ändern! Ihr braucht nicht nachzudenken über den Weg der Kirche in eine gute Zukunft!“ – und schon gar nicht in dem Sinn von manchen Kreisen in der Kirche, die da sagen: „Werft doch die Kritiker einfach über Bord! Und jene, die an der katholischen Kirche etwas auszusetzen haben, die sollen halt evangelisch werden!“ So ist das Wort Jesu mit Sicherheit nicht gemeint. Es mag wohl eher bedeuten: „Legt um Himmels willen nicht die Hände in den Schoss, aber – verliert auch nicht den Kopf!“
Ein Punkt jedoch macht mir als Pfarrer in der Tat Sorge, und dieser Punkt macht die Fahrt des Kirchenschiffes durch die aufgewühlten Wogen unserer Zeit so gefährlich: Die Mannschaft rund um den Steuermann unserer Kirche auf der einen Seite und die vielen, vielen Passagiere auf der anderen Seite sind sich schon lange nicht mehr einig, auch untereinander nicht, – weder was die Route, noch was das Ziel anbelangt.
Ich glaube, wir müssten noch viel mehr reden, in unserer Kirche und auch in unserer Gemeinde St. Margaretha, nicht so sehr übereinander, sondern vielmehr miteinander, wohin wir wollen, wovon wir träumen, was uns antreibt und begeistert und was uns ängstigt und Sorgen macht.
Unsere Gemeinde, in der so viele unterschiedliche Menschen leben, unterschiedlich nicht nur ihrer Herkunft nach, sondern auch unterschiedlich in ihren Bildern von Gemeinde und Kirche, vom Christsein und von der Glaubensweitergabe, unterschiedlich in ihren Sehnsüchten und Träumen, was unsere Kirche angeht – ja, diese unsere Gemeinde könnte und sollte für uns alle der Ort werden, an dem wir wagen aufzubrechen.
Dabei müssen wir wohl auch Abschied nehmen von jenem alten Bewusstsein, dass Jesus Christus eben immer bei uns im Boot sitzt und dass wir seine Botschaft nur an andere weiter geben müssen. Wir müssen vielleicht auch ein ganz neues Bewusstsein lernen, nämlich dass er manchmal von draußen, aus dem Sturm der Zeit, aus den Wellen des Lebens auf uns zukommt und zu uns als Kirche, als Gemeinde sagt: „Komm doch! Wage es, dich auf den Weg zu machen!“
Und dann wird er, liebe Schwestern und Brüder, weil er treu ist und weil er uns Menschen in unserer Menschlichkeit versteht, immer wieder zu uns in Boot steigen, er wird die Wogen und Wellen beruhigen und die Stürme des Lebens bändigen, er wird uns trösten und stärken auf dem Weg zum eigentlichen Ziel unserer Kirche und unserer Welt, dem Reich Gottes.
Auch wenn viele von uns, auch wenn ich mich selbst manchmal an der Kirche reibe, wir haben es in und mit der Kirche in der Hand, dieses Reich Gottes nicht nur zu erträumen, sondern schrittweise zu verwirklichen. Trotz ihrer Mängel verdanken wir alle dieser unserer Kirche unendlich viel.
Denn sie hat uns durch unsere Eltern und Großeltern, durch unsere Erzieherinnen und Lehrer und durch ganz viele glaubende und hoffende und liebende Menschen die Worte und Taten Jesu bis zum heutigen Tag überliefert und bewahrt, selbst wenn sich die Autoritäten in der Geschichte der Kirche manchmal nicht daran gehalten haben. Vor allem weist die Kirche uns und andere suchende Menschen darauf hin, woher wir kommen, worauf wir hoffen, wohin wir gehen. Das Leben, unser aller Leben, wäre sinnlos, gäbe es diesen Dreiklang nicht von Glaube und Hoffnung und Liebe, der einst zur großen festlichen Melodie im endgültigen Reich Gottes wird. Lassen wir Jesu Wort ganz an uns heran, ganz nah, in uns hinein. Und lassen wir es nachklingen in unserer Seele, jenes Wort Jesu: „Hab Vertrauen und komm!“ – Amen.
Georg Klar
Pfarrer St. Margaretha