Hans Küng und seine Fragen an die Kirche

Auszüge aus einer Predigt von Pfarrer Georg Klar am Sonntag, dem 18. April 2010, in Mainaschaff

Meine lieben Schwestern und Brüder im Glauben!

“Liebst du mich?” Eine Frage, die unter die Haut geht. Gestellt an Petrus, an jenen, der der Anführer der zwölf Apostel und der Jüngerschaft damals war. Einer, der für Jesus durch dick und dünn gehen wollte. “Liebst du mich?” Eine Frage, die nachgeht. Der, der ihn dreimal verleugnet, wird dreimal gefragt. Die Frage gilt uns allen. “Liebst du mich?” Liebst du mich so, wie ich liebe? Liebst du alle Menschen? Nicht nur die Stromlinienförmigen, nicht nur die Frommen, nicht nur die Sympathischen, nicht nur die, die alle Kirchengesetze halten, nicht nur die, die etwas werden in unserer Kirche? “Liebst du so wie ich liebe?” Nämlich auch die Querdenker, die Andersdenker, die, deren Leben anders verläuft, als sich das die Kirche manchmal so vorstellt…?

Die Frage an Petrus ist die Frage an alle. Ganz besonders an die, die ein Amt in der Kirche innehaben oder eben auch einen Dienst übernehmen. “Liebst du mich? Und liebst du meine Menschen?” Wir haben den Eindruck, dass die Kirche in diesen Tagen, in denen sie so sehr herausgefordert ist, in einer großen Gefahr steht: nämlich allzu leicht die Klagen und Anklagen an sich abprallen zu lassen und zu sagen: “Wie kommen die Leute dazu, die Bischöfe und gar den Papst so zu kritisieren?“ und es dann aber damit bewenden zu lassen.

Die Zeitungen, gerade die Revolverblätter wie “Prima Sonntag”, titeln: “Kein Bock mehr auf Kirche!” Da ist in ein einfaches, saloppes Wort gebracht, was viele Menschen heute denken. Verdreifacht haben sich vielerorts die Kirchenaustritte. Menschen, die enttäuscht sind, von denen, die die Frage “Liebst du mich?” vorschnell beantworten: “Natürlich liebe ich dich, Gott, deswegen bin ich ja in der Kirche!“ Und die dann dennoch mit dem ihnen anvertrauten Menschenleben unmenschlich umgehen.

“Man muss Gott mehr gehorchen, als den Menschen”, so sagen es die Apostel nach Jesu Tod und Auferstehung vor dem Hohen Rat. “Man muss Gott mehr gehorchen, als den Menschen.” Einer, der schon seit vielen Jahrzehnten Gott mehr gehorcht als den Menschen, ist Hans Küng.

Jener große Tübinger Theologe, zu einer bestimmten Zeit Weggefährte des anderen großen Theologen in Tübingen, Joseph Ratzinger. Ihre Wege verliefen gemeinsam und haben sich doch irgendwann getrennt.

Hans Küng war der, der versucht hat, ähnlich wie bereits Karl Rahner, die Menschen von heute zu erreichen. Sich den modernen Fragen und Anfragen zu stellen. Die Sorgen und Ängste, die Freuden und Hoffnungen der Menschen von heute ernst zu nehmen, wie es das Zweite Vatikanische Konzil unserer Kirche ins Stammbuch geschrieben hat. Er, der große Theologe, bemühte sich um die, die Schwierigkeiten hatten und haben mit der Kirche und dennoch authentisch Christ sein wollen. Gemaßregelt und schließlich mit der Auflage belegt, nicht mehr im Namen der Kirche zu lehren, war Küng immer loyal der Gemeinschaft der Kirche gegenüber, ist nie ausgetreten, hat sinngemäß immer gesagt: “Mir ist das Evangelium so wichtig, dass ich in dieser Kirche bin, in der Gemeinschaft der Glaubenden; auch wenn ich durch die Kirchenleitung und das Lehramt vieles erdulden muss.” Damit steht Hans Küng in einer langen schmerzhaften Reihe mit etlichen Theologen unserer Zeit.

In einem bemerkenswerten und unwahrscheinlich tief gehenden „Offenen Brief an die Bischöfe dieser Welt“ ermahnt er auch uns. In diesem Brief stellt er sechs Bitten oder besser sechs Forderungen auf.

Die erste Forderung Küngs: Nicht schweigen! Nicht schweigen, sondern reden. Sich den Frust von der Seele reden, sich einmischen, Farbe bekennen, wenn die Menschlichkeit auf der Strecke bleibt – außerhalb der Kirche und innerhalb der Kirche. Nicht schweigen, weil man Angst um Posten oder die Karriere hat. Das dürfen und müssen gerade auch wir Hauptamtlichen immer wieder lernen. Nicht schweigen heißt: sich einmischen in die drängenden Fragen unserer Zeit.

Die zweite Forderung Küngs: Reformen anpacken! Vieles ist liegen geblieben in unserer Kirche. Vieles, so haben wir geglaubt, hat das Zweite Vatikanische Konzil schon ganz alleine und automatisch erledigt. Nein, die Kirche ist stets “Ecclesia semper reformanda” – eine Kirche, die sich immer wieder erneuern muss! Das dürfen und sollen wir gerade auch in unserer Pfarrgemeinde leben. Es gibt immer wieder neue Forderungen, auf die wir antworten müssen. Machen wir uns also auf den Weg, die Kirche zu erneuern – und das beginnt, wie wohl alles, immer auch bei uns selbst.

Die dritte Forderung Küngs: In Kollegialität vorgehen! Christen sind keine Einzelkämpfer. Gerade dann stehen sie nämlich in der Gefahr, sich zu verlieren. Christen sind Menschen der Gemeinschaft, sind Schwestern und Brüder. “Wenn viele gemeinsam träumen, so ist das der Beginn einer neuen Wirklichkeit“, wie es in jenem wunderbar wahren Lied heißt. Wir alle sind eingeladen mitzumachen. Es braucht Männer und Frauen, Kinder und Jugendliche, die mitdenken, mitplanen und mittun. Gemeinde lebt davon, dass viele eingeladen werden. Es darf nicht sein, dass irgendwelche Pöstchen für alle Zeiten reserviert sind. Wir dürfen lernen, uns die Hand zu reichen und Aufgaben weiterzugeben, ohne uns deswegen aus der Gemeinde und den Aufgaben zu verabschieden. Aber neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen, andere Menschen anzusprechen, uns selbst nie genug sein, das dürfen wir stets neu lernen.

Die vierte Forderung Küngs: Uneingeschränkter Gehorsam ist allein Gott geschuldet! Ein schwerwiegendes Wort für einen wie mich, der einmal seinem Bischof in die Hände hinein das Versprechen des Gehorsams gegeben hat. Ich kann das nicht so verstehen, als wäre es ein blinder Gehorsam, der nicht mehr nachdenkt. Als wäre es nur ein Gehorsam der Kirchenleitung gegenüber, dem Bischof, dem Papst, dem Lehramt. Es ist ja auch ein Gehorsam der Kirche gegenüber, deswegen auch ein Gehorsam der Gemeinde gegenüber. Dieser Gehorsam muss genau so wichtig sein wie der andere Gehorsam. Aber aufgehoben sind alle Formen menschlichen Gehorsams in der Ausrichtung am Evangelium, an der Frohen Botschaft, die alleine Maßstab sein darf für unser Handeln.

Die fünfte Forderung Küngs: Regionale Lösungen anstreben! Noch immer glauben einige, von Rom aus wird die ganze katholische Welt regiert und überall müsste es genau so aussehen. Nein! Lösungen können unterschiedlich sein, weil Fragen und Probleme unterschiedlich sind. So gibt es ja bei uns neben den Pfarreiengemeinschaften auch große Einzelpfarreien, wie die unsere. So gibt es unterschiedliche Formen von Gottesdienst und Feiern. Unterschiedliche Formen, den christlichen Glauben zu leben. Was sie alle eint, ist das „Katholisch sein“, also das Zugehörigkeitsgefühl zu einer bunten, großen, vielfältigen Gemeinschaft, die immer Jesus Christus als Haupt hat und nicht so sehr das Oberhaupt in Rom. Das Haupt der Kirche ist und bleibt Jesus Christus. Was von uns verlangt wird, ist Nachfragen, Nachdenken, Nachsinnen. Und: unser Gewissen schärfen und uns dabei helfen.

Die sechste und letzte Forderung Küngs: Ein Konzil fordern! Der einzige Punkt, in dem ich nicht ganz mit ihm übereinstimme. Denn ich glaube, wenn wir das, was die Kirche im Zweiten Vatikanischen Konzil angestoßen hat, endlich umsetzen, dann bräuchte es vielleicht kein neues Konzil. Dann bräuchte es nur das entschiedene Weitergehen auf diesem Weg des Dialogs mit der Welt und mit den Menschen von heute. Die Evangelisierung ist, anders als die Mission, keine Einbahnstraße. Es ist ein Weg in die Welt und aus der Welt in die Kirche. Wir dürfen uns anfragen lassen. Und unsere Aufgabe als Christen ist es, die Zeichen der Zeit zu deuten. Die Zeichen der Zeit, die drängend und bedrängend sind. Und in alldem eines nie zu vergessen: Es geht letztlich nicht um die Kirche. Es geht um die Welt! Es geht um die Menschen, zu denen die Kirche gesandt ist! Wir dürfen Sauerteig sein in dieser unserer Welt…

Amen.

Georg Klar
Pfarrer St. Margaretha
Mainaschaff