Die größere Gerechtigkeit – Predigt am 12./13.02.2011

Liebe Buben und Mädchen, liebe Schwestern und Brüder! Ich will euch heute zwei Geschichten erzählen, eine am Anfang und eine am Ende der Predigt, Geschichten, in denen es um Gerechtigkeit geht, von der wir gerade im Evangelium gehört haben.

Die erste Geschichte heißt: „Die bessere Gerechtigkeit“ >>>
Eine alte Legende erzählt von zwei Mönchen, die miteinander im Streit liegen. Sie können sich einfach nicht einigen, denn jeder von beiden fühlt sich im Recht. Schließlich tragen sie dem Abt ihre Sache vor und bitten ihn, den Streit zu schlichten und für Gerechtigkeit zu sorgen. Der Abt möchte eine Nacht Bedenkzeit. Am nächsten Morgen gibt er den beiden Mönchen seine Antwort:
„Ihr wollt Gerechtigkeit? Gerechtigkeit gibt es nur in der Hölle, im Himmel regiert die Barmherzigkeit – und auf Erden gibt es das Kreuz!“

Ja, liebe Schwestern und Brüder: „Die Welt ist ungerecht“, sagen viele Menschen und sie sehen partout nicht ein, warum sie selbst dann gerecht sein sollten. Und da sagt Jesus in der Bergpredigt auch noch, dass die Gerechtigkeit seiner Jünger, also auch unsere Gerechtigkeit, sogar noch größer sein soll als die der Pharisäer und Schriftgelehrten. Ausgerechnet er, der sich doch immer wieder über das gerechte Gesetz des Mose hinweggesetzt hat, der am Sabbat geheilt, der die Speise- und Fastengesetze der Juden in Frage gestellt und den Tempelkult in kritisiert hat, ausgerechnet er warnt im Evangelium nach Matthäus davor, auch nur eines der Gebote aufzuheben. Wie passt das alles zusammen? Der entscheidende Satz, der diesem Widerspruch einen Sinn gibt ist das Wort, das Jesus über sich selbst sagt: „Ich bin gekommen um das Gesetz zu erfüllen.“ Ich glaube, in diesem „Erfüllen“ liegt der Schlüssel zum Verstehen. Das Gebot Gottes, also den Willen Gottes, erfüllt nicht der, der äußerlich ein Gesetz befolgt, also den Buchstaben des Gesetzes; schon gar nicht der, der immer so tut als ob; auch nicht der, der statt gerecht eher selbstgerecht ist und handelt.
Den Willen Gottes tut einzig und allein der, der liebt, denn er gibt den Geboten den ursprünglichen Sinn zurück, nämlich Leben zu ermöglichen und Leben zu beschützen. In der Liebe erfüllen sich das Gesetz und alle Propheten, sagt Jesus einmal. Die größere Gerechtigkeit meint also nichts anderes als: die Liebe und damit den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen! Da haben wir wohl alle noch viel zu lernen – in der Politik und in der Wirtschaft, in Gesellschaft und auch und gerade in unserer Kirche.

Die größere Gerechtigkeit, also die Gerechtigkeit in den Augen Gottes, ist eine bleibende Aufgabe an uns, sie ist aber auch eine Einladung Gottes, zur inneren Freiheit der Kinder Gottes zurück zu finden. Nämlich zu einer Freiheit, die nicht kleinlich rechnet, nachrechnet oder vorrechnet. Zu einer Freiheit, die Gerechtigkeit will, und zwar eine liebende Gerechtigkeit, die nicht verurteilt, die vielmehr fähig und stark ist zu verzeihen, die großherzig ist und die großzügig verschenkt sein will. Eine Gerechtigkeit also, die auf der Spur der Liebe bleibt.

Und genau davon handelt auch die zweite Geschichte, die ich euch am Ende erzählen will. Sie heißt: „Geschichte von der neuen Gerechtigkeit“ >>>
Ein Dieb schlich sich eines Tages in den Garten von Rabbi Wolf und wollte im Dämmerlicht einen Sack Kartoffeln verschwinden lassen. Doch der Sack wehrte sich mit seinem ganzen Gewicht. Der Rabbi saß derweil auf der Fensterbank und schaute hinter dem Vorhang durch das Fenster dem Dieb zu. Dieser kniete und bückte sich vor dem Sack und mühte sich ab. Da eilte Rabbi Wolf auf leisen Sohlen hinaus und half dem Dieb, den Kartoffelsack auf die Schultern zu heben, und ließ dann den Dieb mitsamt den Kartoffeln davonziehen. Die Familie das Rabbi und die übrigen Hausbewohner schüttelten ihre Köpfe: „Wie kannst du diesem Dieb, diesem Halunken auch noch helfen, den Sack Kartoffeln fortzuschleppen?“ Der Rabbi erwiderte: „Glaubt ihr, nur weil er ein Dieb ist, wäre ich nicht verpflichtet, ihm zu helfen?“

Ich glaube, liebe Geschwister, wir haben noch viel zu lernen…

Georg Klar
Pfarrer St. Margaretha
Mainaschaff