„Bei euch aber soll es nicht so sein!“ – Predigt am 21.10.2012

Liebe Schwestern und Brüder! Die Botschaft ist klar und deutlich: Bei euch aber soll es nicht so sein! Bei UNS also soll es nicht so sein! Nicht in der Kirche und nicht in unserer Pfarrgemeinde! Da soll also nicht gelten, dass der Mächtige über den Schwachen herrscht; dass der, der Einfluss hat, den anderen an die Wand spielt; dass der, der es sich leisten kann, über den anderen bestimmt. Verstehen tun wir das alle. Aber es käme darauf an, es wirklich zu leben, damit unsere Kirche der Frohen Botschaft Jesu treu und damit unsere Gemeinde menschlich bleibt.

So selbstverständlich ist das auch in unserer Kirche nicht, nicht damals, zur Zeit Jesu, als schon die Apostel und die anderen Jünger sich schwer taten mit seinem einfachen Lebensstil, mit dem Verzicht auf äußere Macht, auf Zwang oder gar auf Gewalt. Ja, in den zweitausend Jahren ihrer Geschichte stand die Kirche oft, viel zu oft, auf der Seite der Großen, der Einflussreichen und der Mächtigen, auf der Seite der Herrscher, der Könige und der Kaiser – und manchmal leider auch auf der Seite von Despoten und Diktatoren. Man sonnte sich allzu oft in ihrem Glanz, vor allem in Lateinamerika in den 60-er und 70-er Jahren des letzten Jahrhunderts, in so vielen Ländern, wie etwa in Chile, Paraguay und Bolivien, in El Salvador, Argentinien und Brasilien. Und dabei vergaß die Kirche ihren Auftrag, den Armen die frohe Botschaft zu bringen von der Menschenfreundlichkeit Gottes, die sich ihnen zuwenden will, den Armen und Machtlosen, die rechtlos auf der Strecke bleiben. Und Bischöfe wie Oscar Arnulfo Romero in El Salvador und Dom Helder Camara in Brasilien, die sich auf die Seite der Armen stellten, waren leider eher die Ausnahme.

Auch jener Bischof gehört dazu, dessen Leben bis heute ganz im Dienst der Armen am Amazonas steh: Bischof Erwin Kräutler, der für die Rechte der indigenen Völker eintritt und der dafür zu recht im Jahr 2010 den Alternativen Nobelreis erhielt. Mehrfach wurde er von den Reichen und Mächtigen mit dem Tod bedroht und überlebte nur knapp. Sein Wille jedoch ist ungebrochen.
Auf Einladung unseres Bischofs und im Zusammenhang mit der Diözesanen Partnerschaft mit der brasilianischen Diözese Óbidos sprach gestern Abend im Martinushaus über sein großes Thema: „Kämpfen, glauben, hoffen“. Einfach, klar und entschieden erzählte er von seiner Liebe zu den Ärmsten der Armen und vom gemeinsamen Kampf gegen ein Mammut- und Prestigeprojekt, das die Lebensgrundlagen der indigenen Bevölkerung zerstört: den Staudamm von Belo Monte. Dabei scheut er sich nicht, auch auf die Zusammenhänge von Biosprit für Europa einerseits und der Abholzung des Regenwaldes andererseits aufmerksam zu machen. Bischof Kräutler mischt sich ein in die Politik. Und dem Vorwurf, das dürfe er als Bischof doch nicht, begegnet er mit der Feststellung: Und wer schweigt zur Ungerechtigkeit, als Bischof, als Christ, der ist genauso politisch – nämlich als einer, der nichts sagt und schweigt und Ungerechtigkeit hinnimmt.

Aber ich erinnere auch an jene 40 mutigen Bischöfe aus aller Welt, die sich 1965 zum Ende des Konzils in Rom in der Domitila-Katakombe trafen, um dieses Wort ernst zu nehmen: „Bei euch aber soll es nicht so sein!“ Sie beschlossen in dem sogenannten Katakombenpakt, in Zukunft einen einfachen und bescheidenen und einen weitgehend machtfreien Lebensstil zu führen. Unter anderem versprachen sie einander und sich selbst Folgendes:
Wir wollen so leben im Blick auf Wohnung, Essen und Verkehrsmittel wie die Menschen um uns herum.
Wir verzichten, auch was unsere Amtskleidung anlangt, als Reiche zu erscheinen.
Wir wollen weder Immobilien noch Mobiliar besitzen.
Wir lehnen es ab, mit Titeln angesprochen zu werden.
Wir werden jeden Eindruck vermeiden, Reiche und Mächtige zu bevorzugen.
Wir wollen uns vor allem den Benachteiligten und Unterentwickelten zuwenden.
Das Gleiche wollen wir durch unseren Einsatz bei den Verantwortlichen unserer Regierungen durchsetzen.
Der Katakombenpakt endet schließlich mit einer vierfachen Verpflichtung:
Wir werden das Leben mit unseren Geschwistern in Christus teilen und gemeinsam mit ihnen unser Leben ständig kritisch prüfen.
Wir bemühen uns darum, menschlich präsent, offen und zugänglich zu werden.
Wir wollen uns allen Menschen gegenüber offen erweisen, gleich welcher Religion sie sein mögen.
Nach unserer Rückkehr werden wir diese Verpflichtungen bekannt machen und die Gläubigen darum bitten, uns durch ihr Verständnis, ihre Mitarbeit und ihr Gebet zu helfen.
Zu den Erstunterzeichnern, auch das ist bezeichnend, gehörte nur ein deutscher Weihbischof, Julius Angerhausen, aus Essen. Er starb 1990, einfach, wie er gelebt hatte, und ließ sich unter einem Zedernbaum begraben. Später machte sich eigentlich nur noch ein Bischof, nämlich Franz Kamphaus aus Limburg den Geist dieses Textes zu Eigen. Während sein Nachfolger bald in die teuer renovierte Bischofsresidenz einzieht, lebt Bischof Franz Kamphaus heute als Seelsorger einfach und bescheiden in einem Altersheim für behinderte Menschen.

Und ich? Und wir? Was für Spielregeln gelten bei mir und bei uns? Was ist mir, was ist uns wichtig? Wie sieht mein, wie sieht unser Lebensstil aus? Ich spüre, wie bescheiden ich werde und auch wie nachdenklich – so wie damals die Apostel und die Jünger. Aber Nachdenklichkeit kann ja auch schon der Anfang von etwas Neuem sein.
Amen.

Georg Klar
Pfarrer St. Margaretha
Mainaschaff